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Titel
Grauzone. Sir Edward Grey und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs


Autor(en)
Allemann, Urs Georg
Erschienen
Köln 2018: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
460 S.
von
Gabriela Frei

Unbestritten gehört Sir Edward Grey als britischer Aussenminister von 1905 bis 1916 zu einer der interessantesten Figuren in der Politik Grossbritanniens vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der britischen Aussenpolitik und geht der Frage nach, welche Rolle diese in den Entscheidungsprozessen während der Julikrise 1914 spielte. Dabei konzentriert sich der Autor auf drei Hauptschwerpunkte: Frankreich, Russland und Persien. Damit setzt der Autor einen Kontrapunkt zu den traditionellen Werken, die sich mit der Vorkriegsgeschichte des Ersten Weltkrieges beschäftigen. Allerdings präzisiert der Autor, dass es sich hier ausdrücklich um eine prosopographische Studie handelt und stellt sich somit in die Tradition von Historikern rund um Zara Steiner, die als ausgewiesene Expertin der britischen Aussenpolitik vor 1945 gilt. Der Fokus der Arbeit liegt also auf der Person Sir Edward Grey und seines Zirkels und schildert aus deren Perspektive die Ereignisse, die sich schliesslich in der Julikrise 1914 zuspitzten.

Die vorliegende Arbeit stützt sich auf eine breite Quellenbasis. So wurden nebst ungedruckten und gedruckten Regierungsdokumenten, zeitgenössische Literatur, Zeitschriften und Memoiren verwendet. Besonders akribisch wurden private Nachlässe aus Greys Personenkreis bearbeitet. Die Literatur rezipiert allerdings nur den Forschungsstand bis 2014, was sehr bedauerlich ist, da wichtige Publikationen, die während der Hundertjahrfeiern des Ersten Weltkrieges erschienen sind, nicht berücksichtigt wurden.

In einem einleitenden Kapitel wird zunächst die Person Sir Edward Grey biographisch vorgestellt. In diesem ersten Kapitel wird bereits deutlich, dass Grey innerhalb und ausserhalb des Foreign Office von einem sehr exklusiven Zirkel von politischen Ratgebern und Freunden umgeben war. Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse Grossbritanniens vor dem Ersten Weltkrieg werden in einem zweiten Kapitel innenpolitisch wie aussenpolitisch beleuchtet. Dabei wird insbesondere das Verhältnis zwischen Politik und Presse behandelt, anhand dessen einzelne Themenkomplexe wie das Wettrüsten zwischen Deutschland und Grossbritannien oder die zahlreichen Invasionsängste der Briten näher erläutert werden. Der Blick auf das Britische Empire zeigt mit welchen Herausforderungen sich Grey in seinem Amt als Aussenminister konfrontiert sah. Die folgenden drei Kapitel widmen sich dann einzelnen Studien über Frankreich, Russland und Persien. Anhand der Vielzahl an Korrespondenzen die an Grey gerichtet waren, wird deutlich, dass sich Grossbritannien an allen Fronten des Empires stellen musste. Gerade der Einblick in die Persienpolitik zeigt das angespannte Verhältnis zu Russland und wie sich dieses im Sommer 1914 zuspitzte. Wie ein Tagebuch liest sich die Julikrise, welche in Kapitel 6 minutiös nachgezeichnet wird. Während Grey im Mittelpunkt steht, sind es aber gleichzeitig auch die Stimmen aus Greys Umfeld, die dem Leser die Tragweite verschiedener Entscheidungen in diesen Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verdeutlichen. Einzelne Exkurse beleuchten besonders heikle Situationen, die die Überforderung Greys und des Foreign Office vor Augen führen. In einem kurzen Schlusswort zeigt der Autor Greys Dilemma auf, der gefangen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn einerseits, und Frankreich und Russland andererseits, war. Während erstere versuchten, Grossbritannien aus einem Krieg raus zu halten, unternahmen letztere jeden Versuch, Grossbritannien zu einem Kriegseintritt an ihrer Seite zu bewegen.

Der Autor argumentiert, dass Grey oft eigenmächtig handelte, wobei er insbesondere von Richard Haldane, Secretary for State of War (bis 1912) und Lord High Chancellor (bis 1915), beeinflusst worden war. Die Schlussfolgerung, dass die Entscheidung Grossbritanniens an der Seite der Entente in den Krieg einzutreten, letztlich von nur wenigen beschlossen wurde, ist nicht neu. Dennoch zeichnen die Aussagen aus dem Umfeld von Grey ein nuanciertes Bild von einem Politiker, der sich der schicksalshaften Wochen und der weitreichenden Entscheidungen bewusst war.

Die vorliegende Studie zeichnet ein sehr persönliches Portrait eines britischen Politikers und beschreibt die Entscheidungsprozesse in der Julikrise vor dem Hintergrund britischer Aussenpolitik. Die breit angelegte prosopographische Studie gibt dem Leser einen tiefen Einblick in das berufliche und persönliche Umfeld von Grey. Ebenfalls gewinnt der Leser einen Eindruck über die Personen selbst, die mit Grey in Korrespondenz standen, zu denen unter anderem Botschafter, Politiker und Intellektuelle zählten. Ein Personenregister am Ende des Buches gibt dem Leser einen Überblick über die einzelnen Personen. In langen Ausschnitten von Zitaten – die manchmal etwas langatmig wirken, teils übersetzt und teils in englischer Sprache wiedergegeben werden – wird deutlich wie ausführlich und detailliert sich Grey hat unterrichten lassen.

Zwar nimmt der Autor Bezug auf globalhistorische Kontexte und gewährt mit der Persienpolitik einen guten Einblick, wie diese sich auf die britische Aussenpolitik auswirkte. Doch es fehlt dem Buch an einer stärkeren Einbindung in die Globalgeschichte des Ersten Weltkrieges und dessen Vorgeschichte. Insbesondere in der Diskussion der Julikrise hätten die Bezüge zur geopolitischen Lage Grossbritanniens stärker herausgearbeitet werden können. Das Schlusswort hätte zudem Raum geboten, den Wert eines prosopographischen Ansatzes in der Globalgeschichte zu erläutern. Gerade die Hundertjahrfeiern des Ersten Weltkrieges haben gezeigt, wie wichtig es ist, globale Zusammenhänge zu beleuchten und zu erläutern.

Insgesamt gelingt es dem Autor eine Balance zwischen Ereignisgeschichte und prosopographischer Darstellung Greys zu finden. Das Buch leistet so einen Beitrag zum Verständnis von Machtstrukturen in der britischen Politik vor 1914 und gewährt einen sehr persönlichen Einblick in das Umfeld einer der prägendsten Figuren der britischen Politik.

Zitierweise:
Frei, Gabriela A.: Rezension zu: Allemann, Urs Georg: Grauzone. Sir Edward Grey und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Köln 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 198-199. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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